Getöteter Radfahrer in Heiligensee

„Warum hatte er denn auch keinen Helm auf?“ – das fragte ein Passant, als wir mit dem ADFC und Respect Cyclists am ersten Adventswochenende die Mahnwache für einen 82-jährigen Radfahrer in Heiligensee abhielten. Der Mann war an der Kreuzung Heiligenseestraße/Süderholmer Steig mit dem Fahrrad vom Radweg auf die Straße gewechselt, von einem PKW erfasst und tödlich verletzt worden. Und der Passant fragt nach dem Helm?

Er mag das nur nebenbei und ohne Nachdenken gesagt haben. Aber nichts zeigt deutlicher, wie viele Menschen und leider vor allem die Politik heutzutage argumentieren: Der Fahrradweg ist holprig und schmal, die Kreuzung wegen eines dauer-parkenden Wohnanhängers schlecht einsehbar, die Fahrerin des Unglücksfahrzeugs schon altersbedingt nicht mehr 100prozentig reaktionsschnell. Doch der erste Vorwurf, den man hört, wird dem Rad-fahrenden Opfer gemacht. #VictimBlaming?

Schuld an diesem schlimmen Unfall kann nicht die Frau am Steuer des PKW haben und genauso wenig der Rad-fahrende alte Mann. Ich sehe hier vielmehr die Verantwortung in einer Infrastruktur, die die Schwachen (und Alten!) nicht schützt: Konnte der Mann die Spur nicht länger halten und geriet aus Unachtsamkeit auf die Straße? Oder fuhr er vielleicht einen plötzlichen Schlenker nach links, als er sich in die selbe Richtung umdrehte? Und was ist mit der PKW-Fahrerin? Warum hatte sie den Mann auf dem Fahrrad vor sich nicht gesehen und die Geschwindigkeit in der Kurve nicht angepasst? Warum hat sie so spät reagiert, dass sie den Zusammenstoß mit dem Fahrradfahrer nicht vermeiden konnte? All diese Fragen, auf die es wohl nie eine Antwort geben wird, führen zu der Feststellung, dass beide Unfallbeteiligten Opfer einer Infrastruktur wurden, die keine Fehler verzeiht. Die einen bezahlen das mit ihrem Leben. Die anderen mit einem Trauma oder Schuldgefühlen bis zum Lebensende.

Warum, frage ich, wird hier von Seiten derer, die es könnten, nicht reagiert? Warum gibt es an der Kreuzung keine Geschwindigkeitsbegrenzung? Warum wird der Fahrradweg als schmaler Streifen auf dem Bürgersteig entlanggeführt, der einen Alleinunfall genauso wahrscheinlich macht wie das Übersehenwerden durch einen einscherenden PKW?

Es wäre ein gutes Zeichen gewesen, bei der Aufstellung des Geisterrads die für Verkehr zuständige Stadträtin Julia Schrod-Thiel anzutreffen. Sie hätte keine Rede halten, sich nicht rechtfertigen müssen. Aber ihre Teilnahme hätte gezeigt, dass sie unsere Ängste versteht und vielleicht, nur vielleicht, ihr Amt dazu nutzt, endlich auch Maßnahmen zu ergreifen.

Es war das 14. Geisterrad, das wir dieses Jahr aufstellten. 14 getötete Radfahrende 2023 in Berlin.

Hier die Polizeimeldung Nr. 2206 zum Unfall: https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2023/pressemitteilung.1389864.php

Vision Zero-Demo zum Unfallort (Quelle: privat)