Gerichtsverfahren gegen Autofahrer

Bericht zum Prozess am 25. Mai – Amtsgericht Tiergarten

Guter Richter, guter Termin und Glück für den SUV-Fahrer, dass er nach Jugendrecht verurteilt wurde – es gab Sozialstunden und die Teilnahme an einer Verkehrs-Nachschulung. Der Richter erkannte eindeutig seine alleinige Schuld. Ich kann nur ein großes Danke sagen an alle, die mich unterstützt haben, besonders den ADFC und die Fahrradbubble auf Twitter und Mastodon. – Siehe auch Prozessbericht unten!

Worum es ging:

Für Radfahrende überall in Deutschland und besonders in Berlin gehört es zum Alltag: Zu knappes Überholen durch Autos oder LKW. Manchmal geschieht das aus reiner Unkenntnis der Straßenverkehrsordnung, manchmal mit Absicht: Dann soll den Radfahrenden ganz gezielt Angst gemacht werden, um ihnen zu zeigen, dass sie auf der Straße unerwünscht sind.

Letzteres erlebte ich an der Kreuzung Markstraße/Residenzstraße auf der Grenze zwischen Reinickendorf und Mitte in Berlin. Nur dass der Autofahrer aggressiver war als sonst: Er verschätzte sich und rammte mich von hinten. Ärgerlich für ihn: Das filmte meine hinter mir fahrende Radbegleitung – hier der Link zum Video: https://youtu.be/slabBdBFcPY. Und: Statt nach dem Unfall sofort anzuhalten, fuhr der Mann weiter und versuchte zu entkommen. Ein Opel-Corsa-Fahrer stellte sich ihm in den Weg.

Im Rahmen des Zivilprozesses, der Anfang Mai stattfand und in dem ich Schmerzensgeld und weitere Kosten geltend machte, verzichtete der Unfallverursacher (der Beklagte) auf eine Entschuldigung und gab noch nicht mal ansatzweise zu, etwas falsch gemacht zu haben. Der Richter formulierte es in seiner Urteilsbegründung so:

[…] Tatsächlich dürfte es wohl extrem schwer fallen, hier nicht zu unterstellen, dass der Beklagte […] die Klägerin [that’s me – eigene Anm.] hier absichtlich mit Gewalt an die Seite „schubsen“ wollte. Das wird auch durch seine Äußerung im Gerichtstermin, die sich letztendlich darauf beschränkte, darauf hinzuweisen, dass das seine Spur sei und die Fahrerin den Arm nicht raus gehalten habe, also kein Recht hatte, dort zu sein, unterstützt. Inwieweit das Verhalten des Beklagten […] als vorsätzliche Körperverletzung oder Schlimmeres zu qualifizieren ist, hat das Zivilgericht nicht nachzuprüfen, das mag der Strafgerichtsbarkeit überlassen sein.“

Hier der Tweet zum Vorfall: https://twitter.com/keb_berlin/status/1487805629485965312?s=20&t=FTW4NnbZ1fy3G3c7NtEPVw.

Meine beiden größeren Kinder waren bei der Gerichtsverhandlung dabei. Hier die Schilderung meiner Tochter (15 Jahre):

Alsoooooo, die Strafvehandlung von dem Typen, der Mama angefahren hat, war gestern. Hier ein kleiner Bericht, weil Mama und Papa als Zeugen draußen warten mussten.

Wie in einem Strafprozess üblich, durfte der Angeklagte bzw. sein Anwalt den Sachverhalt schildern. Der Anwalt von ihm hat irgendwas vorgelesen und dann musste der Typ noch ein paar Sachen selbst erläutern. Die Sachen, die er so erzählt hat, waren alle ein wenig dubios und teilweise auch einfach gelogen.
Auf Nachfrage des Richters beteuerte er dann, er habe sich noch am Unfallort entschuldigt und auch am nächsten Tag nochmal angerufen, um sich nach Mamas Zustand zu erkundigen. Lassen wir erstmal so stehen. Nach weiteren komischen Schilderungen kam dann endlich das Video zum Einsatz. Es zeigt den Unfallhergang sehr genau und auch die zeitlichen Zusammenhänge, die der Gutste sehr verklärt hatte. So meinte er, er habe Mama nicht gesehen, weil er noch mit Papa diskutiert hatte und da er Mama mit dem Seitenspiegel getroffen hatte, konnte er auch nicht sehen, dass er gerade auf eine Radlerin raufgehalten hatte. Die Ampel war natürlich grün und den Knall hatte er nicht gehört, weil so laut Musik lief.

Das Video also. Nach diversen technischen Problemen, die bestimmt nochmal eine halbe Stunde gedauert haben, konnten wir den Großteil des Videos sehen. Die letzten 10 Sekunden, die vor allem relevant für den Vorwurf der Fahrerflucht waren, hat Mama dann nach ewigem Hängen und Würgen dann auf dem Tablet gezeigt.

Die Verhandlung ging weiter. Der Typ mit dem Auto fragte den Richter, ob er noch etwas zu dem Video sagen könne, das eindeutig beweist, dass er nur Scheiße erzählt hat. Der Richter meinte darauf hin: „Ja, aber nur wenn Sie sicher sind, dass es was Schlaues ist.“ Der Typ darauf hin: „Beim Auto muss man blinken, wenn man abbiegen will. Und beim Fahrrad muss man ja wenigstens mit dem Kopf nicken. Und die Fahrradfahrerin (Mama) hat das ja nicht gemacht…“ An der Stelle hat der Richter unterbrochen „Das hab ich mir schon fast gedacht. Also doch nichts Schlaues. Ich glaube ihr Anwalt möchte Ihnen auch raten jetzt nichts mehr zu sagen.“ Blick zum Verteidiger, der nickt leicht resigniert mit dem Kopf.

Jetzt aber Zeugenvernehmung von Mama. Ganz normal. Sie erzählt, wie es halt war, wie auf dem Video zu sehen ist. Erzählt von Verletzungen und betont, dass sie jetzt natürlich immer ein wenig Angst hat, wenn ein Auto sie zu dicht überholt. Auf Nachfrage verneint Mama ganz deutlich den Entschuldigungsversuch des Typen. Das Gleiche bei Papa. Er hat ebenfalls nichts von einer Entschuldigung mitbekommen. Schlecht für den Autotypen.

Faktencheck, Video: Es ist keine laute Musik zu hören, sein Fenster war offen. Die Diskussion mit Papa stand in keinem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall. Er hat Mama mit der rechten Seite abgeräumt, der gleichen, durch dessen Fenster er zuvor mit Papa geredet hat. Er ist zurückgefallen und dann nochmal beschleunigt und auf Mama raufgehalten. Die Ampel war rot.

Der Typ war zum Zeitpunkt des Unfalls 20,9 Jahre alt. Evtl. also noch Jugendstrafrecht. In Folge dessen war eine Jugendgerichtshelferin anwesend, die am Ende tatsächlich eine Jugendstrafe durchdrücken konnte.

Trommelwirbel, das Urteil:

40 Tagessätze und eine Verkehrsnachschulung. Der Richter hat bei der Urteilsverkündung nochmal betont, dass wenn die Sache früher auf seinem Tisch gewesen wäre, wäre der Lappen weg. Was er auch gut gesagt hat, war das mit der Fahrerflucht: Die Entscheidung, ob der Autotyp tatsächlich wegfahren wollte, war wohl noch nicht vollständig getroffen. Das wurde ihm zugute gehalten. Und der Richter sagte auch, dass dieses Beschleunigen und auf Mama Raufhalten ohne Jugendstrafrecht sehr viel schlechter hätte ausgehen können.

Fazit: Erfolgreiche Verhandlung. Wenn der Typ auch nur nochmal über rot fährt, bekommt er dicke Probleme. Ja, Plural. Als vorbestraft gilt er mit 40 Sozialstunden noch nicht, aber das sollte ihm einen Denkzettel geben.

Er hat es nicht mal nach der Verhandlung geschafft, sich zu entschuldigen.